Kategorie: Stellungnahmen

Zur Schließung des pro:woman-Ambulatoriums

Seit Februar 2023 werden im pro:woman-Ambulatorium im Wiener Stadtzentrum keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchgeführt, die Klinik wird ohne Vorwarnung und transparente Begründung geschlossen. Die Versorgungslage in Wien wird dadurch eng.

Dass es die mangelhaften Rahmenbedingungen sind, die die Situation prekär werden lassen, liegt auf der Hand: der medizinisch sichere Schwangerschaftsabbruch steht noch immer im Strafgesetzbuch und die Wiener Stadtregierung verlässt sich ebenso wie die Bundesländer darauf, dass es am privaten Markt genug Angebot gibt. Die Versorgungssicherheit und -qualität ist somit vom Willen der Betreibenden abhängig.

Wir sind schockiert über diese Entwicklung und haben gemeinsam mit anderen Organisationen, die im Feld der reproduktiven Gesundheit tätig sind, eine Stellungnahme an die Öffentlichkeit und die Politik verfasst.

Stellungnahme zur parlamentarischen Bürgerinitiative 54/BI 24. GP (“#FAIRÄNDERN”)

Pro Choice Austria – Plattform für freien Schwangerschaftsabbruch versteht sich als Teil der internationalen Pro-Choice-Bewegung, die weltweit für den freien und sicheren Zugang zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen kämpft. Gesundheit und Selbstbestimmung der Schwangeren stehen dabei im Zentrum und leiten die politische Arbeit. Vor diesem Hintergrund geben wir folgende Stellungnahme ab:

Offizielle Statistik und anonyme Motivforschung zu Schwangerschaftsabbrüchen in Österreich

Angaben zur Anzahl der Abtreibungen in Österreich beruhen auf Schätzungen. Dies liegt daran, dass Patientinnen den Eingriff zur Gänze selbst bezahlen müssen. Eine Statistik wäre bei Kostenübernahme durch die öffentliche Hand (z. B. Krankenkassen), wie Pro Choice Austria sie fordert, automatisch erreicht. Dies wäre ohne zusätzlichen bürokratischen Aufwand einfach umzusetzen.

Mehrwert durch zusätzliche anonyme Motivforschung ist nicht ersichtlich, da zu den Ursachen ungewollter Schwangerschaften und den Motiven für die Entscheidung zur Abtreibung bereits zahlreiche Studien sowie Expert_innenwissen aus der Praxis vorliegen. Siehe dazu: http://abtreibung.at/fur-allgemein-interessierte/ursachen/

Festzuhalten ist, dass keine zusätzlichen bürokratischen Hürden oder andere Hindernisse errichtet werden dürfen, die Ärzt_innen davon abschrecken, die notwendige Gesundheitsleistung Abtreibung anzubieten und durchzuführen, oder die ungewollt Schwangere in ihrer freien Entscheidung beeinträchtigen, eine Schwangerschaft abzubrechen oder fortzusetzen. Zu solchen Hindernissen gehört auch die Stigmatisierung durch Fragen zum höchstpersönlichen Lebensbereich und zu den Gründen für die Entscheidung.

Hinweispflicht des Arztes auf Unterstützungs- und Beratungsangebote für schwangere Frauen

Beratungsstellen für Familienplanung, Frauengesundheitszentren, Familienberatungsstellen und sonstige psychosoziale Beratungsangebote, in denen freiwillig Klärungsgespräche in Anspruch genommen werden können, sind in Österreich bereits vorhanden – ihnen wurden jedoch die Förderungen gekürzt. Pro Choice Austria begrüßt es ausdrücklich, wenn diese Kürzungen zurückgenommen werden. Zu den Kürzungen siehe beispielsweise: https://derstandard.at/2000083130532/Regierung-streicht-Familienberatungsstellen-Geld

Wenn Ärzt_innen über freiwillige, ergebnisoffene Beratungsangebote Bescheid wissen und ungewollt Schwangere auf Wunsch darüber informieren können, ist dies zu begrüßen. Zum Schutz der psychischen Gesundheit der Schwangeren ist es jedoch notwendig sicherzustellen, dass diese Angebote nicht in eine bestimmte Richtung mit einem gewünschten Ergebnis beraten.

Eine Hinweispflicht der Ärzt_innen ist nicht erforderlich bzw. sinnvoll, da 98 % der Schwangeren bereits die Entscheidung getroffen haben, ob sie die Schwangerschaft abbrechen oder fortsetzen, wenn sie eine_n Ärzt_in aufsuchen. Siehe dazu auch die Stellungnahme von DDr. Fiala und Mag.a Petra Schweiger: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/SBI/SBI_00075/imfname_736987.pdf

Die Ansicht, dass ungewollt Schwangere verpflichtende Beratung brauchen würden, spricht ihnen die Mündigkeit ab, vernünftige und wohlüberlegte Entscheidungen treffen zu können. Tatsächlich sind 95 % der Betroffenen auch 3 Jahre nach einem Abbruch noch sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, siehe: https://www.gynmed.at/sites/default/files/publications/pro_familia_magazin_2015-4_schweiger.pdf

Aus diesem Grund ist auch jegliche zusätzliche Pflichtberatung durch Dritte (Beratungsstellen für Familienplanung, Frauengesundheitszentren und sonstige psychosoziale Beratungsangebote) unbedingt abzulehnen.

Wie bei jedem medizinischen Eingriff werden Patient_innen auch vor einem Schwangerschaftsabbruch ärztlich aufgeklärt. Dabei werden sie über das verwendete Verfahren, den Verlauf, die Risiken und die möglichen Folgen informiert. Ein von Ärzt_innen durchgeführter Schwangerschaftsabbruch ist sehr sicher und verursacht in der Regel weder körperliche noch psychische Schäden. Es ist daher aus medizinischen Gründen nicht notwendig, eine zusätzliche Pflichtberatung vorzuschreiben.

Ob es in ihrer Lebenssituation möglich ist, eine Schwangerschaft auszutragen oder nicht, wissen Schwangere selbst am besten. Eine zusätzliche verpflichtende Beratung kann folgende negative Konsequenzen haben und ist daher abzulehnen:

  • Wenn sie einen notwendigen Abbruch verzögert und Schwangere dadurch nicht so schnell wie möglich die bestmögliche medizinische Versorgung erhalten (körperliche und psychische Gesundheit).
  • Wenn Schwangere unter moralischen Druck gesetzt werden und versucht wird, sie zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu drängen (psychische Gesundheit).

Bedenkzeit zwischen Anmeldung und Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches

Schwangere entscheiden nicht spontan, sondern wohlüberlegt, ob sie einen Abbruch durchführen lassen oder nicht. Im Zweifel beraten sie sich mit vertrauten Personen und/oder ihren Ärzt_innen.

Wie lange sie brauchen, um ihre Entscheidung zu fällen, ist ganz individuell. Schwangere sind jedoch hervorragend in der Lage, diese Entscheidung zu treffen: 98 % der Schwangeren suchen eine_n Ärzt_in auf, wenn sie sich bereits entschieden haben, ob sie die Schwangerschaft abbrechen oder fortsetzen wollen.

Eine gesetzlich erzwungene Wartefrist zwischen dem Erstgespräch und dem Abbruch würde Schwangeren lediglich Hindernisse in den Weg stellen, ihr Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper wahrzunehmen:

  • Im Rahmen der Fristenlösung kann eine gesetzlich erzwungene Wartefrist im schlimmsten Fall dazu führen, dass die Frist überschritten wird, in der ein Abbruch straflos möglich ist. Das wäre eine starke Einschränkung des Zugangs zu Abtreibung „durch die Hintertür“, die absolut abzulehnen ist.    
  • Schwangere können unter starken gesundheitlichen Problemen (Übelkeit, Erbrechen, Kreislaufprobleme etc.) leiden, die durch eine Wartefrist unnötig verlängert würden.    

Eine erzwungene Wartefrist macht es notwendig, mehrere Termine wahrzunehmen. Dies ist in jedem Fall eine hohe Belastung, die folgende Gruppen besonders stark trifft:

  • Für manche Menschen mit Behinderungen und/oder chronischen Erkrankungen ist es schwierig bzw. mit hohem Aufwand verbunden, zu Terminen anzureisen.    
  • Für prekär Beschäftigte ist es schwierig, innerhalb kurzer Zeit mehrere Termine während der Arbeitszeit wahrzunehmen.
  • Schwangere, die keinen Zugang zum Abbruch in der Nähe ihres Wohnortes haben, müssen eine lange Anreise mit hohen Kosten plus Übernachtung auf sich nehmen. In Tirol und Vorarlberg führt beispielsweise kein öffentliches Krankenhaus Abtreibungen durch.
  • Wer kleine Kinder oder andere Angehörige versorgt, ist ebenfalls benachteiligt.

In keinem anderen medizinischen Bereich müssen Patient_innen eine gesetzlich erzwungene Wartefrist auf sich nehmen, bevor sie eine notwendige medizinische Leistung erhalten. Schwangerschaftsabbruch darf, als Teil der medizinischen Basisversorgung, ebenfalls nicht mit einer gesetzlich erzwungenen Wartefrist verbunden sein.

Informationskampagne über Adoption/Pflege als Alternative zum Schwangerschaftsabbruch

Eine ungewollte Schwangerschaft gegen den eigenen Willen auszutragen und das Neugeborene anschließend zur Adoption freizugeben, ist nicht zumutbar. Ein Gebärzwang ist ausnahmslos als Gewalt einzustufen. In einer öffentlichen Kampagne zur Information über Adoption und Pflege dürfen diese daher nicht als (womöglich auch noch „bessere“) Alternativen zum Abbruch dargestellt werden. Jede Verbindung zum Thema Schwangerschaftsabbruch ist zu vermeiden.

Schwangere entscheiden sich für eine Abtreibung, weil sie in ihrer Lebenssituation notwendig ist. Um diese Entscheidung ohne Angst vor Diskriminierung treffen zu können, darf der Schwangerschaftsabbruch nicht als „schlechtere Wahl“ stigmatisiert werden.

Abschaffung der eugenischen Indikation

Der Begriff “eugenische Indikation” ist sachlich nicht korrekt, sondern stark polemisierend und daher abzulehnen. Die Bezeichnung “embryopathische Indikation” ist richtig, wie Peter Husslein, Leiter der gynäkologischen Abteilung im AKH klarstellt: https://www.falter.at/archiv/FALTER_20190313D7B6035ABA/das-ziel-ist-den-legalen-schwangerschaftsabbruch-zu-fall-zu-bringen

Die Forderung nach Abschaffung der embryopathischen Indikation wird nach einhelliger Meinung von Expert_innen nicht das deklarierte Ziel erreichen, dass behinderte Menschen in unserer Gesellschaft weniger diskriminiert werden. Im Gegenteil: Föten mit zweifelhafter Diagnose werden häufiger abgetrieben, weil im Rahmen der Fristenregelung die Zeit für eine gründliche medizinische Abklärung fehlt. Nochmals Husslein:

“Während einer Schwangerschaft ist der erste Zeitpunkt, bei dem man Hinweise auf mögliche Fehlbildungen erhält, das sogenannte Ersttrimesterscreening im ersten Drittel der Schwangerschaft. Das wird zwischen der 11. und 14. Schwangerschaftswoche gemacht. Diese Untersuchung ist zwar schon sehr gut, aber trotzdem stellen sich rund drei Viertel der Verdachtsfälle auf eine Fehlbildung im Laufe der weiteren Schwangerschaft als falsch heraus. Denn je weiter das Ungeborene entwickelt ist, desto bessere Prognosen können wir Ärzte machen. Derzeit können wir der Frau sagen, wir warten noch ein bisschen ab, machen weitere Untersuchungen und dann kann sie sich immer noch entscheiden. Wenn uns der Gesetzgeber diese Möglichkeit nimmt, wird ein großer Teil der Frauen, die mit einem solchen Verdacht konfrontiert sind, sagen, dann gehe ich lieber kein Risiko ein und treibe gleich ab, weil jetzt ist das noch legal. Wer die medizinische Indikation streicht, macht sich deshalb verantwortlich für das schuldhafte Versterben von sehr vielen gesunden Föten.”

Es gibt daher nur eine sinnvolle Lösung: Die völlige und ersatzlose Streichung der Abtreibung aus dem Strafgesetzbuch (§§ 96-98). Die Regelungen zur Vorgehensweise sind ausschließlich im Medizinrecht zu verankern.

Die Instrumentalisierung von Menschen mit Behinderungen durch Abtreibungs-Gegner_innen ist scharf zurückzuweisen – erst recht solange sich der vermeintliche “Lebensschutz” hauptsächlich auf Embryonen und Föten in Uteri und nicht auf würdige Existenzbedingungen für bereits lebende Frauen, Familien, Menschen mit Behinderungen etc. bezieht.

Breitgefächertes Beratungs- und Unterstützungsangebot für Eltern, die ein Kind mit Behinderung erwarten

Dem Thema sollte sich über Diskussion der Pränataldiagnostik, sensible und freiwillige Beratungsangebote, Unterstützung von Familien mit beeinträchtigten Kindern sowie gesamtgesellschaftliche Inklusion und nicht über das Strafrecht genähert werden.

Pro Choice Austria steht in voller Solidarität mit der Forderung “selbstbestimmt leben” der Behindertenbewegung. Um ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Behinderung jeden Alters und ihre Angehörigen zu ermöglichen, sind in erster Linie Maßnahmen der sozialen Sicherung, der Teilhabe und der Infrastruktur erforderlich.

Diese Forderungen liegen seit langer Zeit vor. Die Schritte der derzeitigen Bundesregierung weisen in eine andere Richtung. Die finanziellen Einbußen, die Familien mit behinderten Kindern durch die neue “Sozialhilfe” erleiden, sind existenzbedrohend. Sie stehen der Forderung “selbstbestimmt leben” diametral entgegen.

Es ist vorstellbar, dass sich manche Schwangere für das Austragen eines behinderten Kindes entscheiden, wenn soziale Absicherung vorhanden ist. Zwischen dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch und der Verbesserung von Lebensbedingungen von behinderten Menschen und ihren Familien besteht jedoch kein sachlicher Zusammenhang, der dementsprechend auch nicht künstlich konstruiert werden sollte.

Fakt bleibt, dass viele Väter ihre Verpflichtungen gegenüber einem behinderten Kind nicht wahrnehmen und die Familie verlassen. Das Armutsrisiko von Alleinerziehenden und ihren Kindern – ohnehin schon enorm hoch – ist im Fall einer Behinderung nochmals höher. Von der psychischen Belastung durch die Stigmatisierung von Behinderten, die unzureichende Infrastruktur und den hohen bürokratischen Aufwand ganz zu schweigen. Jede Verbesserung dieser untragbaren Situation wird die Unterstützung von Pro Choice Austria finden.

Fazit

Für Pro Choice Austria hat das Selbstbestimmungsrecht oberste Priorität. Dieses aus Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention abgeleitete Grundrecht beinhaltet auch die Freiheit, über den eigenen Körper sowie Fortsetzung oder Abbruch einer Schwangerschaft zu entscheiden. Siehe dazu auch die ausführliche Stellungnahme von Amnesty International zur Bürgerinitiative 54/BI 24. GP: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/SBI/SBI_00094/imfname_747263.pdf

Für diese Entscheidungsfreiheit müssen die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Jegliche Einschränkungen sind daher strikt abzulehnen.

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